George Orwells 1948 entstandene dystopische Zukunftsvision einer alles überwachenden Regierungselite im Jahr 1984 ist ein zeitloser Klassiker von Beklemmung und Düsternis, der auch die meisten modernen Science-Fiction Dystopien immer noch locker in die Tasche steckt. Bayern 2 hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Stimmung akustisch in die Welt von Heute tragen.
1984 im Jahr 2021 – geht das?
Über Story spreche ich bei hoerwachsen immer nur sehr vorsichtig, weil ich niemandem der die Romanvorlage nicht kennt, nicht das Vergnügen am Hörspiel nehmen möchte. Deshalb will ich die Geschichte nur grob umreißen:
Wenige Jahre vor Beginn der Romanhandlung hat eine geheimnisvolle Regierungselite die Informationshoheit über die Vergangenheit an sich gerissen, um so die Zukunft zu kontrollieren. Abweichende Meinungen werden nicht toleriert, die Propaganda des “Großen Bruders” ist allgegenwärtig, die Aktivitäten und Meinungen aller Menschen werden vom Staat überwacht. Sexuelle Handlungen, unkontrollierte Zusammenkünfte und das Aufschreiben der (wahren) Geschichte sind verboten. Die beiden Protagonisten Winston Smith und Julia Gordon rebellieren gegen diese Diktatur und begeben sich damit in höchste Gefahr.
Ein Mahnmal der Individualität und Meinungsfreiheit
Das soll zur Geschichte ausreichen. Der Roman ist in den letzten 80 Jahren in jeder Epoche ein Mahnmal von Individualität und Meinungsfreiheit gewesen. Geschrieben zum Ende des zweiten Weltkriegs, als die Welt die Folgen von nahezu allmächtigen Diktatoren noch spürte, wurde die Geschichte auch in den Jahrzehnten danach immer wieder als warnendes Beispiel vor zu viel Kontrolle herangezogen.
Die jüngsten Beispiele waren das Überwachungsprogramm der amerikanischen Geheimdienste, die Diskussionen um Vorratsdatenspeicherung in Deutschland, die Datensammelwut der großen Tech-Konzerne, aber auch die Regeln zur Pandemiebekämpfung weltweit. Immer ist George Orwell derjenige, der uns vor all dem doch gewarnt hat.
Letztendlich haben vermutlich die wenigsten, die seine Geschichte als Argument oder als Propaganda nutzen und nutzten, den Roman tatsächlich gelesen. Die Dystopie von Orwell lebt nicht von ihrer Nähe zur Realität – davon ist sie dann doch ein großes Stück entfernt – sondern von der erzeugten Stimmung, der Beklemmung, der Angst der “Rebellen” und der brutalen und kalten Freude unter den Systemtreuen über Denunziation, Mord und Psychoterror. Und genau diese Stimmung muss ein Hörspiel einfangen, um den Geist von “1984” akustisch zu übermitteln.
Bedrückendes Ambiente mit einem Schuss Wahnsinn
Mit der Vertonung von 1984 schafft der erfahrene Hörspielregisseur Klaus Buhlert ein unerwartetes Hörspielerlebnis. Leise Töne, sparsam eingesetzte Effekte und der geniale Zusammenschnitt von Winstons Tagebucheinträgen und der allgegenwärtigen Propagandamaschinerie des “Großen Bruders” verursachen beim Hörer genau die Art von Unglaube und Beklemmung, die das Original bei seinen Lesern beabsichtigte.
Die Story ist schwermütig, die komplexen Verknüpfungen und der starke Fokus auf Dialogen und Monolegen macht es einem unmöglich, das Hörspiel unbeschwert nebenher laufen zu lassen. Wer bereit ist, der Inszenierung seine ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, wird mit einem emotional aufgeladenen, atmosphärisch dichten und in den späteren Episoden auch extrem spannenden Audio-Erlebnis belohnt.
Maßgeblich zur Stimmung tragen die Sprecher bei. Erzähler Frank Pätzold (Tatort, Soko 5113) ist mit seinem ruhigen Stil genau der richtige, um das ungewollte Gefühl der Normalität zu transportieren, dass 1984 so besonders macht. Felix Goeser (Tatort, Notruf Hafenkante) brilliert als Winston mit seinen Sprüngen zwischen Vorlesen (aus seinen Tagebüchern) und Erleben und Elisa Plüss (Tatort, SOKO Kitzbühel) gelingt es als Julia vom ersten Moment an, ihre Figur aus der grauen und tristen Welt in Ozeanien herauszuheben.
Muss ich das Buch gelesen haben?
Zum Verständnis des Hörspiels ist das Buch nicht notwendig, die Geschichte wird in einer anderen Reihenfolge mit anderen Perspektiven erzählt, beantwortet aber im Laufe der Zeit alle wichtigen Fragen zum Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung, die zum Status Quo geführt hat.
Dennoch kann ich nur jedem ans Herz legen, diesem Klassiker der Sci-Fi Literatur eine Chance zu geben. In meinem Fall, ist es bereits fast 20 Jahre her und ich hatte nur noch sporadische Erinnerungen an die Handlungsdetails, an die Stimmung habe ich mich dank der gelungenen Inszenierung aber sofort wieder erinnert.
Seit Januar 2021 ist das Buch in einer neuen, zeitgemäßen Übersetzung erhältlich (über diesen **Partnerlink** könnt ihr es euch bei Amazon holen und ich erhalte eine kleine Provision dafür.
Andere Medien?
Wer englisch lesen will, greift zur englischen Ausgabe, wer lieber ein Hörbuch möchte, dem empfehle ich die von Christoph Maria Herbst gelesene Version und wer es lieber visuell mag, dem sei der Film von 1984 (ja wirklich!) mit John Hurt ans Herz gelegt, der wirklich hervorragend umgesetzt ist.
Wer was wagen will, greift zu einer inoffiziellen Fortsetzung des Autors Steven Garcia, in der Donald Trump als Big Brother auf dem Titelbild zu sehen ist.
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