Hallo Paul, die Hörspielreihe “Wayne McLair” gilt bei vielen als Geheimtipp. Du hast Wayne McLair während deiner Zeit beim Hörspielprojekt geschrieben. Wie entstand die Idee? Gibt es Figuren die dich inspiriert haben?
Paul Burghardt: Zunächst möchte ich Danke sagen für dieses Gespräch, ich freue mich sehr darüber. Wayne McLair ist bis heute mein größtes Baby und wird es hoffentlich auch noch lange bleiben. Die Idee dazu entstand aus meiner Vorliebe für Helden, die etwas anders sind. Besonders Charaktere, die eher augenzwinkernd agieren, als mit einem Breitschwert bewaffnet in die Schlacht zu ziehen, haben es mir schon immer angetan. Sie bringen von vornherein eine gewisse Tiefe mit, die den Abenteuern das gewisse Etwas verleihen. Vorbild für McLair war eindeutig Arsene Lupin, der Gentleman-Gauner. Diese Figur wurde vom französischen Schriftsteller Maurice Leblanc ins Leben gerufen, der zu seiner Zeit einen Gegenentwurf zum Welterfolg von Doyles Meisterdetektiv Sherlock Holmes zeichnen wollte. Lupin, der König der Diebe. Das hat doch etwas! Auch er wurde im Laufe seiner Abenteuer immer mehr ein Helfer der Polizei, wobei er stets seinen moralischen Kompass aufrecht erhielt. Er stiehlt, ja, aber er tötet nicht. In dieser Hinsicht sind sich Lupin und McLair sehr ähnlich.
Ich habe schon zu Beginn meiner Zeit beim Hörspielprojekt entschieden, dass einer solchen Figur aber ein Team aus ebenso außergewöhnlichen Charakteren zur Seite stehen sollte. So entstanden z.B. der grimmige Revolvermann Aidan Quinn, die Femme fatale Isabelle Chevalier und die freche Taschendiebin Cait Brown. Kaum hatte ich alle von ihnen mit einer Hintergrundgeschichte ausgestattet, schrieben sich McLairs Abenteuer wie von selbst. Die Charaktere tragen die Story und entscheiden über das Geschehen. Manchmal musste ich meine eigenen Pläne über den Haufen werden, weil ich beim Schreiben begriff, dass das Team McLair anders handeln würde. So erlebe aber selbst ich als Autor Überraschungen und freue mich umso mehr auf jeden neuen Fall.
Du hast in das Gaunergenre eine Prise Steam Punk gemischt. Wenn ich mir deine bisherigen Werke ansehe, sind die eher „bodenständig“. Wie kam es denn dazu?
Paul:Steampunk ist eine faszinierende Gattung, die sich auf die umwälzenden Ereignisse der industriellen Revolution stützt. Seien es Automobile, Verbrennungsmotoren oder Dampflokomitiven – für die Bevölkerung bedeutete jede Erfindung eine Veränderung ihrer Welt. Steampunk erlaubt den Autoren in diese Zeit der Wunder zurückzureisen und sie an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Solomon Crompton, der Anführer der Mechanisten von Smokestack besitzt einen mechanischen Arm. Quinn reist in einer Dampfdroschke umher. McLair entdeckt eine frühzeitliche Hologrammtechnologie. Das alles ist unfassbar aufregend und man weiß als Hörer aus dem Heute, welche Tragweite diese Dinge für die Zukunft haben können und werden.
Das alles wollte ich für meine Meisterdiebgeschichte – und mehr! Wobei meine anderen Hörspielwerke zwar nicht steampunklastig, aber ebenfalls phantastisch sind. „Twilight Mysteries“, eine Art Akte X mit mehr Humor, spielt mit magischen Mächten. „Offenbarung 23“ ist eine Serie, die Verschwörungstheorien behandelt und dabei auch mit mehreren Dimensionen spielt. Einzig „Die Größten Fälle von Scotland Yard“ sind eindeutig bodenständige Krimis, die mir auch viel Spaß bereiten. Hier darf ich tatsächlich auch mal komplett bodenständig arbeiten und Geschichten schreiben, die wie beispielsweise „Bernhard-Blüten“ auf historischen Tatsachen basieren.
Insgesamt sehe ich meine Werke eher als phantastisch an und bin mehr als glücklich in diesem Metier schreiben zu dürfen.
Wayne McLair, Aidan Quinn, Eve Crompton, Die Stimme … ein ganzer Haufen Charaktere, deren Vergangenheit mehr oder weniger unklar ist. Vieles davon wird sich in den nächsten Folgen sicher auch auflösen. Könnte es nach dem Vorbild z.B. der John Sinclair Classic-Reihe trotzdem einen Blick in die Vergangenheit dieser Figuren geben?
Paul: Eine gesonderte Classic-Reihe ist aktuell nicht geplant, das schicke ich schon mal voraus. Der Zauber vieler Figuren besteht aber auch darin, Geheimnisse in sich zu tragen. Innerhalb der Serie werden die verschiedenen Hintergründe aber Stück für Stück beleuchtet. Sie unterstützen den Haupthandlungsstrang, der derzeit die Mechanisten von Smokestack behandelt. Bis Folge 14 werden wir aber einer der von Dir genannten Figuren besonderes Augenmerk schenken, so viel darf ich bereits verraten.
Arthur O’Neill ist zu Beginn der Reihe eher ein Versager als ein erfolgreicher Ermittler, hat aber später mehr und mehr Erfolgserlebnisse. Aiden Quinn ist eigentlich der Schurke, wird aber schnell ein Teil von Team McLair. Isabelle Chevalier geht anfangs scheinbar für Geld über Leichen, hört dann aber mehr und mehr auf ihr Herz. Mit einfach gestrickten Charakteren hast du es nicht so oder?
Paul: Ich freue mich sehr, dass Dir die Entwicklung der Figuren aufgefallen ist. Besonders nach der ersten Folge bekam ich öfters Rückmeldungen, die die Eindimensionalität der Charaktere bemängelten. Dabei dachte ich von Anfang an in größeren Maßstäben. Im 60-Minuten-Turnus ist es bei der Fülle von Figuren im Team McLair aber schwerlich möglich, jedem Mitglied die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken. Alleine die Folgen 1 bis 3 (Der Meisterdieb, Der Revolvermann Teil 1 und 2) dienten dazu, Aidan Quinn als Partner vom Meisterdieb zu etablieren. Jede Geschichte braucht seine Zeit, doch mit der steigenden Folgenzahl werden die geplanten Entwicklungen nun deutlich. Wie eingangs schon gesagt, stehen bei mir die Charaktere im Vordergrund. Sie tragen die Geschichte und entwickeln sie selbstständig weiter. McLair sucht sich solche Helfer, die ihn interessieren und die auf ihre eigene Weise besonders sind.
Für mich als Autor ist es wichtig, jeder Figur eine eigene Geschichte zu geben. Bei jeder Story frage ich mich, warum Charakter X so handelt, wie er handelt. Auf diese Weise entstehen Abenteuer, die vielleicht nicht immer realistisch, dafür aber authentisch sind.
Wir stehen kurz vor Folge 10, hättest du 2017 als du Folge 1 unter dem Maritim-Label veröffentlicht hast daran geglaubt, dass die Serie auf mindestens 14 Folgen – und hoffentlich noch viel mehr – kommt?
Paul: Ich bin selbst überrascht, wie positiv die McLair-Geschichten bei den Hörern ankommen. Dass mein damaliges Hobbyprojekt das Interesse eines großen Hörspielverlages weckte, war ein wahr gewordener Traum! Im Hörspielsektor ist der Fortbestand einer Serie nicht immer selbstverständlich, wie wir aus vielen abgebrochenen Serien gelernt haben. Umso dankbarer bin ich für die überwältigend positive Resonanz. Es ist den Hörern zu verdanken, dass die Abenteuer meines Gentleman-Gauners weiterhin in die Welt getragen werden können und ich möchte jedem Einzelnen meinen herzlichsten Dank dafür aussprechen.
Diese Fanbasis ist treu, in vielen Foren und Social Media Gruppen liest man: „Wer Wayne McLair nicht gehört hat, hat ein großes Highlight im verpasst“. Hörspiele sind finanziell ja immer ein bisschen Gratwanderungen. Aber hat sich für den Meisterdieb der Sprung von der Community „Hörspielprojekt“ zum kommerziellen Hörspiel gelohnt?
Paul: Auf jeden Fall! Die Kommerzialisierung hat mir nach meinem Sprung vom Lehramt in die Selbstständigkeit erlaubt, mich meinem Herzblutprojekt zu widmen und dabei nicht am Hungertuch zu nagen. Ein Hörspiel zu produzieren ist sehr aufwändig. Hinter einer Stunde Hörgenuss stehen meistens über 100 Arbeitsstunden, die neben der eigentlichen Berufstätigkeit schwerlich zu leisten sind. Bei mir vereint sich diese Zeit zum Glück zu einer kreativen Symbiose. Ich darf mich einem Projekt widmen, das ich in jedem Arbeitsschritt begleite und so formen kann, wie ich es mir vorstelle. Etwas Schöneres kann es gart nicht geben!
Ich glaube, das ist kein Glück, das ist Irisch! Aber lass uns über die Produktion selbst sprechen. Du hast Wayne McLair im Grunde als One-Man Show auf die Beine gestellt. Titelrolle, Produzent, Regisseur, Sound Designer und Drehbuchautor. Das verschafft dir sehr viel kreative Freiheit. Andererseits hast du mit dem größten Hörspiel-Label Maritim kooperiert. Musstest du an den Original-Skripten der ersten Hörspielprojekt-Folgen für die kommerzielle Verarbeitung viel ändern? Und wie ging es danach weiter? Mischt sich ein so starkes Label bei der Produktion ein oder konntest du deine Ideen komplett frei umsetzen?
Paul: Maritim hat mir im Grunde nur den 60-Minuten-Turnus zur Bedingung gemacht. Ansonsten wurde mir komplett freie Hand gelassen. Diese Arbeitsweise ist keineswegs selbstverständlich! Aber mir wurde ein Vertrauen entgegengebracht, dass mit erlaubte, die Geschichten so zu erzählen, wie mir der Schnabel gewachsen war. Das bedeutet mir unglaublich viel und auch dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar!
Eine Folge beginnt mit mir als Autor, geht über in die Aufnahmephase, in der ich als Regisseur den Sprachduktus steuern darf und endet mit der Auswahl von Geräuschen und Musik. Zum Glück trifft mein Geschmack den des Labels. So sind die Geschichten entstanden, die mich und hoffentlich auch die Hörer mit einer ganzen Ladung Spaß erfüllen.
Wayne McLair ist deine erste Sprechrolle in einem kommerziellen Hörspiel. Wie war das für dich, warst du nervös?
Paul: Nervös ist gar kein Ausdruck! Da ich selbst die Regie führe und vermutlich selbst mein größter Kritiker bin, ist jede Aufnahmesession ein Akt der Selbstkasteiung. Man möchte neben lebenden Legenden wie Katja Brügger (Tante Molly), Douglas Welbat (Solomon Crompton) oder Tanya Kahana (Cait) schließlich bestehen und das Niveau halten. Niemand musste sich so oft für Retakes vor das Mikrofon stellen, wie ich selbst. Erst wenn sich mir beim Klang meiner eigenen Stimme nicht die Fußnägel hochrollen, bin ich zufrieden. Wobei ich mir auch heute wünschte, manche Aufnahmen noch einem wiederholt zu haben. Aber wie in jeder Kunstform kommt irgendwann der Punkt, an dem man es als Momentaufnahme akzeptieren und einfach mal gut sein lassen muss.
14 Folgen sind uns schon mal sicher. Ist schon klar, wie es danach weiter geht?
Paul: Folge 14 wird das erste Staffelfinale bilden. Derzeit befinden wir uns in der Verhandlungsphase für weitere Episoden, doch ich kann schon mal verraten, dass Maritim sich für das Fortführen der Serie ausgesprochen hat. Der Traum lebt weiter!
Demnächst hat unser Lieblings-Dieb einen Gastauftritt in der Reihe Sherlock Holmes & Co. Kannst du uns dazu schon mehr verraten?
Paul: Richtig, in Folge 44 wird McLair einen eigenen Kriminalfall bestreiten. Der Titel lautet: „Der Falschspieler mit dem Karo-Ass“. Ich denke, dass der Klappentext die Folge am besten beschreibt:
Paris im Jahr 1900. Bei einer öffentlichen Hinrichtung verliert Wayne McLairs alter Freund Fips beinahe seinen Kopf. Offenbar ist der alte Gauner Opfer einer hinterhältigen Verschwörung geworden, deren Drahtzieher sich aller Wahrscheinlichkeit nach in den allerbesten Kreisen Frankreichs aufhält. Für den Meisterdieb McLair ist es eine Frage der Ehre, diesem schamlosen Treiben ein Ende zu setzen!
Auf meiner Homepage ist auch ein XXL-Trailer für das Hörspiel zu hören. Viel Spaß mit der ersten Szene.
Eine ganz andere Frage: Ich weiß dank Wayne McLair und Google jetzt, was ein Dreiviertelzoll-Rundbogenflansch ist, aber wie sieht dieser Kampunülbrinkelschrauber aus und was genau tut er?
Paul: Ich könnte jetzt ausholen und die Grundzüge der Quantenphysik und ihre Relevanz für McLairs Arbeit an geheimen Steampunktechnologien erläutern, doch die schlichte Wahrheit sieht in ihrer banalsten Form so aus:
Der Kamponülbrinkelschrauber ist hervorragend dazu geeignet, lustige Wörter in Hörspielskripte einzubringen, um bei den Aufnahmen mit den Sprechern einen erhöhten Spaßfaktor zu garantieren.
Paul, danke für dieses tolle Interview! Für uns bei Hoerwachsen ist Wayne McLair eine der besten Hörspielreihen der letzten zwei Jahre. Deshalb werden auch wir uns in den kommenden Wochen noch viel mehr mit dem Meisterdieb beschäftigen. Wir liefern euch im ersten Hoerwachsen-Themen-Spezial Hintergründe zu Charakteren, Fraktionen, Schauplätzen und Sprechern dieses grandiosen Hörspiels. Schaut die Tage doch mal auf Facebook oder hier auf der Seite vorbei.
Das Interview führte: Heiko von Hoerwachsen.de